Stimmen

Edition 17 Schauspiel Band 1

Zu seiner Arbeit an Kleists „Penthesilea“ schreibt der Intendant des Hofer Theaters, Reinhardt Friese:

Also war es das erste Anliegen, eine Fassung zu erstellen, die im personellen Umfang für Hof realisierbar ist. Das bedeutet, nicht so wichtige Personen wegzulassen, die Texte teilweise anders zu verteilen oder ganz zu streichen.
Daraus resultierte, dass sich das Stück in seiner Konstruktion veränderte: Plötzlich war es nicht mehr entscheidend, das historische Schlachtengemälde vor den Mauern Trojas, in dem Kleist seine Geschichte verortete, nachzuempfinden. Für uns entstand ein Schlachtfeld der Seele, Worte sind die eigentlichen Waffen, zumal alles, was man gemeinhin „Handlung“ nennt, von Kleist ohnehin von der Bühne weg verlagert wurde und lediglich durch Botenberichte mitgeteilt wird. Durch das konsequente Entfernen aller Texte, die den Ort zu illustrieren versuchen oder eine gigantische Menschenmenge suggerieren sollen, wurde aus dem Stück ein intimes Kammerspiel, in dem die auftretenden Figuren gar nicht dafür geschaffen waren, zu handeln, sondern nur, um Standpunkte zu formulieren.
Immer mehr verfestigte sich mein Eindruck während des Erstellens dieser Fassung, dass es sich bei dem Stück um einen Blick in den Kopf des Autors selber handelte, der seine verschiedenen Persönlichkeitsfacetten auf Figuren übertrug: Odysseus steht für die Vernunft, die Priesterin für das Pflichtgefühl, Prothoe für die selbstlose Freundschaft, Achilles für das Männlich-Aggressive und in der Titelfigur Penthesilea findet sich Kleists stärkste Stimme wieder: Die des gegen alle gesellschaftliche Vorschrift liebenden und sehnenden Individuums.
In der Probenarbeit war übrigens noch zu beobachten, wie wenig „Spiel“, Gestaltung der Text verträgt; wie stark er wirkte, wenn sich die Schauspieler auf das präzise Sprechen und Denken des Gesprochenen konzentrieren. Dann entstand in der pausenlosen, etwa 110 Minuten langen Aufführung ein eigentümlicher Sog, der das Publikum in das Fühlen von Kleist tief eintauchen ließ.

Dem Stück Penthesilea aus dem Jahre 1807, Erstdruck 1808, war zu Lebzeiten des Dramatikers kein Erfolg beschieden. Bedeutsam war hierbei auch Goethes vehemente Ablehnung. Der bekannte Theaterkritiker Georg Hensel schrieb über „Penthesilea“ 1992: „Gleichwohl ist die Sprachmacht dieser eruptiven Dichtung so groß, dass sie sich auf der Bühne eine autonome Welt erschafft, in der die Gewaltsamkeiten der Handlung, die bei einer Inhaltserzählung brutal hervortreten, vollkommen logisch und natürlich wirken, weil sie den Gesetzen der inneren Vorgänge entsprechen: das Gefühl, das die Liebende zwingt, den Geliebten zu zerfleischen, vermag auch, wenn es die Liebende gegen sich selbst richtet, sie zu töten.“ Georg Hensel, Spielplan, 3. Aufl. 1993, S. 461.

Poessnecker U, Titelseite Meerschwein 2016.jpg

Prof. Dr. Sprenger zu „Ich glaub, mich tritt ein Meerschwein“:

Fischstäbchen, Gummibär, Barbiepuppe, Meersalzstreuer, Meerbär, Eisverkäufer, Häwelmann: So bunt und eigenwillig die Figuren sind, mit denen Ursula Krechel ihren Strand bevölkert, so streng, ja archaisch ist bei näherem Hinsehen die theatralische Anlage des kurzen Stückes, das keine Kulisse, aber viele Spieler braucht: Den eigenartigen, karikaturhaft überzeichneten Strandgestalten steht ein „Meer“ aus Kindern gegenüber („Nass muß es nicht sein, aber sehr groß.“), das gleich zu Beginn ein biblisches Chaos heraufbeschwört, eine ursprüngliche, formlose, dunkle Welt vor dem Wort und der Gestaltwerdung: „Platsch macht die eine Welle. Platsch macht die andere, und wieder eine Welle, die sich auf die andere schiebt. Dunkel ist es und kalt.“ Diesem Meereskollektiv wird keine eigene Perspektive zugeschrieben, es scheint eine eigene Zeit und einen eigenen Raum außerhalb der eigentlichen dramatischen Handlung zu bewohnen. Das am Rande des Bühnengeschehens wogende Kindermeer, von dem Figuren und Handlung des Stückes sich abgrenzen und aus dem sie sich dennoch zu speisen scheinen, übernimmt damit zugleich die Funktionen des Chors im Sinne der antiken Tragödie: Das wogende, chorisch sprechende Meer öffnet – mit Nietzsche gesprochen – die Bühne auf den Raum des Dionysischen, es verkörpert einen Raum ewiger, göttlicher Wahrheit, die sich in Tanz und Bewegung mehr als in Handlung und Worten ausdrückt, und zu dem die handelnden Figuren keinen unmittelbaren Zugang haben. Darüber hinaus gibt nach antikem Vorbild der Chor sich auch bei Krechel als zwischen Publikum und Schauspielern, zwischen realer und dramatischer Welt vermittelnde, das Geschehen kommentierende Instanz zu erkennen.

Prof. Dr. Ulrike Sprenger zu Ursula Krechels Theaterstück vom Meerschwein.

Wild gespielt, Poessnecker, Cover 2014

Der Herausgeber Ulrich Poessnecker zu „Wild gespielt“: 

Bevor sich der Bühnenvorhang öffnen kann, die Scheinwerfer die Darsteller ins rechte Licht setzen und das erwartete Spiel beginnen darf, sind Zeiten des Probens, des Lernens und des Erfindens zu bestehen. Das Jugendtheater lebt in unseren Schulen. Theatererziehung ist künstlerische Bildung und heute auch Regelunterricht mit eigenen Lehrplänen und Zeugnisnoten, deshalb auch eine ernsthafte Disziplin des Bildungsprogramms der Schulen.

Den reich bebilderten Bericht zur Theaterpraxis einer engagierten und mehrfach ausgezeichneten hessischen Schultheatergruppe erhält man mit „Wild gespielt“. Ein Unterschied zwischen dem professionellen Theater und dem schulischen Theater, sei es nun Theater AG oder Darstellendes Spiel, besteht im Ziel, das an den Berufsbühnen auf das Kunstwerk der Aufführung gerichtet ist, während das Spielen der Schülerinnen und Schüler vornehmlich pädagogischen Zwecken zuzuordnen ist. Der Begriff der Persönlichkeitsbildung ist hier von zentraler Bedeutung. Blättert man durch „Wild gespielt“, erfährt man aber, dass die schulische Anwendung der theaterkünstlerischen Mittel und Verfahren nicht allein auf die pädagogische Arbeit reduzierbar sein sollte. Auch in der Schule ist die Begegnung mit der Welt des Kunstschaffens, innerhalb der gegebenen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmuster, zu suchen und im glücklichen Fall auch zu erleben. Von der Mobilisierung ästhetischer Sensibilität und dem Gestalten in darstellenden Zusammenhängen erzählt „Wild gespielt“ in Wort und Bild.
Gehen die Mitwirkenden ernst genug mit ihrem Thema um? Lässt ihr Zugriff auf die Stückvorlage diese Ernsthaftigkeit erkennen? Lässt sich für den Zuschauer die Beziehung von den Inhalten des Stücks zu den Motiven der Bearbeitung nachvollziehen? Begründet die in der Aufführung klar gewordene Zielsetzung der Interpretation die gewählte Erarbeitung? Wird den Zuschauern eine ernsthafte Theaterarbeit gezeigt? Einfacher gesagt, wird deutlich, worauf man hinauswollte? Die Vorlage des Textes muss vom Publikum nicht erkannt werden, wohl aber das, was die Theatergruppe zu sagen beabsichtigte.

Der junge Darsteller einer schulischen Theatergruppe wird eine ihm völlig entsprechende Rolle, die vielleicht genau für ihn geschrieben wurde, ihn quasi zitiert, nicht gut spielen können. Seine Darstellung wird zur Selbstdarstellung, das ist privat und Befangenheit wäre die Folge. Jugendliche können sich viele  Problemfelder und für sie bedeutsame Themen gerade in den gegenwartsfernen Bildern des Theaters erspielen.  Die zeitliche Distanz schützt, auch das Erwachsene einer Bühnenfigur der Vergangenheit kann sehr viel leichter erspielt werden als eine theatrale Verkörperung des realen Vaters, mit zu großem Anzug und Krawatte.

Ein Schultheater, welches dem Thema seine größtmögliche Aufmerksamkeit widmet, ist sicherlich ein zeitgemäßes Theater. Da ist es dann mitunter so, dass die Inszenierenden, ein Stück Deutenden, die Diskutierenden der Gruppe, sich nahezu die Rolle des Autors erspielen. Der Autor selbst wird verwandelt. Er wird zum Lieferanten literarischen Materials, der klassische Text untersuchungsreif. Schultheater ist institutionelles, professionelles Theater. Nur eben gespielt von nicht professionell ausgebildeten, jugendlichen Darstellerinnen und Darstellern. Es darf sich seiner Grenzen unbedingt bewusst sein und kann sich daraus neue, eigene, freie Spielräume erarbeiten.
Einige Bücher sind allein deshalb besonders, weil es sie in der Regel erst gar nicht gibt. So auch der hier vorliegende, dokumentarische Bild- und Textband. Er versammelt Szenenbilder, Aussagen beteiligter Darsteller und Beobachter, ist Positionsbeschreibung und auch Erinnerung zugleich. Wild gespielt gibt in großformatigen, farbigen Fotografien und Wortbeiträgen wesentliche Einblicke in die langjährige Arbeit der Wiesbadener Theatergruppe des Gymnasiums am Mosbacher Berg.
Im zentralen Essay beschreibt das Buch Perspektiven, Methoden und Einsichten eines schulischen Theaterspielens, welches sich in jahrzehntelanger Praxis entfalten konnte. Anschaulich und lebendig berichtet der Text von den vielfältigen Prozessen der Entwicklung eines Theaterstücks und einer Theatergruppe.

Das Buch gibt Auskunft über das sich wandelnde, künstlerische Selbstverständnis einer Spielgruppe und darüber, was Schultheater ist und sein soll: authentisch und kreativ, notwendig, lebensnah und ein überzeugendes Kunstwerk. Das Schultheater als ein wunderbares Spiel mit Raum genug für Dialog und Handlung. Schultheater als ein Gesprächsangebot an alle Beteiligten: Schultheater, der niemals endende Versuch, die Welt spielerisch zu durchmessen.

„Wild gespielt“ spricht ausführlich und konkret von persönlichen Erfahrungen mit schulischer Theaterpraxis und versammelt dabei Beiträge aktueller wie auch ehemaliger Mitspielerinnen und Mitspieler der Theatergruppe. Es sind teilweise heute bekannte Darsteller aber eben auch Schüler kurz vor ihrem Abitur. U. a. Jens Harzer (heute: Thalia Theater Hamburg)  und Michael Kessler (heute: TV-Schauspieler), Peter Protic (heute: Theaterspielleitung JVA Wiesbaden) oder Anja S. Gläser (Theater Osnabrück).

Der Band ermöglicht die konkrete Auseinandersetzung mit einer aktuellen schulischen Praxis des Theaterspielens, fordert ein Nachdenken über das Verhältnis von Bühnenkunst und Pädagogik und vermittelt Ansätze einer emanzipatorischen Theaterarbeit in der Schule. Das Buch richtet sich dabei sowohl an den engagierten Laien, den Theaterfreund tatsächlich jungen Theaters, Studierende als auch an professionell Theaterschaffende im schulischen Umfeld und grundsätzlich an alle, die ein wenig mehr über das Theater in der Schule wissen wollen.

 

Stimmen zu “Wild gespielt”:

Schöne Bücher aus anderen Häusern: Eine Empfehlung für WILD GESPIELT aus dem Verlag Siebzehn. Ein wunderschöner Bildband, in dem auch die Schilderung seiner eigenen Erfahrungen und die Beiträge der Schülerinnen und Schüler nicht zu kurz kommen. Das Ergebnis überzeugt – nicht zuletzt wegen der gelungenen Fotos, die einmal mehr zeigen, wie reizvoll das Gebiet der Theaterfotografie ist.
Deutscher Theaterverlag, Weinheim, Oktober 2014.  / blog.dtver.de

Ich muss sagen, dass mich nicht nur die Bilddokumentation in ihrer künstlerischen Qualität sondern auch die Texte  beeindruckt haben. Deren Tenor ist ja, was Ihre Person betrifft, in dem Sinne einhellig, dass Sie den jungen Leuten Mut gemacht haben, sich rücksichtslos auszudrücken und damit sich selbst intensiv, d.h. tief- und ausgreifend wahrzunehmen.
Brigitte Gebert, OStudDir., Friedberg, September 2014 / Zitiert aus einem Brief an den Verlag.

Ich genieße das Blättern, lerne Poessneckers mitreißenden Schreibstil kennen und erschließe mir eine Vorstellung dieser Atmosphäre von Verve, Leidenschaft und gegenseitiger Motivation unter den dem Theaterspiel mit so viel Hingabe Frönenden. Innerlich wie äußerlich ist dieses Buch ein kostbares, lebendiges, warmes und packendes Prachtstück. …Und so kam es, das Wild gespielt wild gelesen wurde.
Sonja Claren, im Blog-Archiv / Deutscher Theaterverlag, Weinheim, 2. Oktober 2014

 

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